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Gemeinwohl – antiquiert und aus der Zeit gefallen?

Ge·mein·wohl
Wörterbuchergebnis für Gemeinwohl
/ɡəˈma͜invoːl,Gemeínwohl/
Substantiv, Neutrum [das]
das Wohl[ergehen] eines jeden Einzelnen innerhalb einer Gemeinschaft

Der Begriff des Gemeinwohls war lange Zeit in Vergessenheit geraten, seit einiger Zeit rückt er wieder mehr in das öffentliche Bewusstsein.

Den Wert des Gemeinwohls gibt es, seit es Menschen gibt. Er ist in allen Kulturen anzutreffen. In praktisch allen Kulturen gibt es äquivalente Konzepte, wie das „buen vivir“ in Lateinamerika, „Ubuntu“ in Afrika, „Dharma“ im Buddhismus oder „happiness“ im Bhutan.

Als Begriff und Bestandteil der Philosophie, Ethik, Staatstheorie und Ökonomie zieht er sich von Beginn an durch die Geschichte der abendländischen Kultur.

340 – 300 V. CHR.: GRIECHISCHE ANTIKE
Platon schreibt in der Politeia: „Das Gemeinwohl stellt dabei die Funktion und das Ziel der politischen Gemeinschaft dar, in ihm verwirklichen sich die Bedürfnisse, die Interessen und das Glück aller Bürger durch ein tugendhaftes und gerechtes Leben.“
Aristoteles formuliert in Politik: „Bei allen Wissenschaften und Künsten ist ein Gut der Zweck; das höchste Gut ist in höchstem Grade Zweck in der allerhöchsten, d. h. in der Staatskunst. Das staatliche Gut aber ist das Recht, und dieses wiederum das Gemeinwohl.“ (Politik, III 12).

106 – 43 V. CHR. CICERO
„Das Wohl des Volkes soll oberstes Gesetz sein.“
(De legibus III, 3, 8)

13. JHDT.: THOMAS v. AQUIN
Thomas v. Aquin prägte in der Summa teologica den Satz: „Bonum commune melius quam bonus unus.“ Damit legt er den Grundstein für die Karriere des Gemeinwohl-Begriffs in der christlichen Soziallehre.

1712 – 1778: JEAN-JACQUES ROUSSEAU
Rousseau führte in seinem Hauptwerk „Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes“ aus, dass die alleinige Grundlage legitimer politischer Macht nur der Gemeinwille sein kann, der immer das Gemeinwohl anstrebt.

1946: VERFASSUNG BAYERNS
Die Verfassung Bayerns wird 1946 in einer Volksabstimmung angenommen. Artikel 151 besagt: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“

2010: „GEMEINWOHL-ÖKONOMIE“
Nach knapp 2-jähriger Vorarbeit startet am 6. Oktober 2010 die Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung in Wien, auf Basis des Buches „Gemeinwohl-Ökonomie“ von Christian Felber. Schon 2001 hatten Joachim Sikora und Günter Hoffmann „Visionen einer Gemeinwohl-Ökonomie“ verfasst. Auch die spanische Version der „Zivilökonomie“ von Stefano Zamagni/Luici Bruno (2012) heißt „Por una economía del bien común“ und auch der Franzose Jean Tirole hat eine „Economie du bien comun“ verfasst (2016).

2015: PAPST FRANZISKUS
Die Enzyklika “Laudato Si” (“Über die Sorge für das gemeinsame Haus”) geht auf die Umweltproblematik, das Wirtschaftssystem und die Frage der sozialen Gerechtigkeit ein. Das Wort “Gemeinwohl” kommt gezählte 25 Mal vor.

2016: WELTETHOS-INSTITUT
Der Direktor des Weltethos-Instituts, Claus Dierksmeier, hat die Philosophie- und Wirtschaftsgeschichte durchackert. Sein Resümee: „Von Aristoteles über Thomas von Aquin bis zu einschließlich Adam Smith bestand Konsens darüber, dass die ökonomische Theorie und Praxis sowohl legitimiert als auch begrenzt werden müssten durch ein übergeordnetes Ziel (Griechisch: telos) wie etwa das ‚Gemeinwohl‘.“
(„Reframing Economic Ethics. The Philosophical Fundament of Humanistic Ethics, Palgrave Macmillan, 2016, S. 35)

Die Universalität des Gemeinwohl-Wertes zeigt sich auch darin, dass er in zahlreichen Verfassungen moderner Demokratien fest verankert ist.

„Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“
(Bayrische Verfassung, Art. 151)

„Kapitalbildung ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Entfaltung der Volkswirtschaft.“
(Bayrische Verfassung, Art. 157)

„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“
(Deutsches Grundgesetz, Art. 14)

„Das Gesetz bestimmt die Wirtschaftspläne, damit die öffentliche und private Wirtschaftstätigkeit nach dem Allgemeinwohl ausgerichtet werden können.“
(Verfassung Italiens, Art. 41)

„Der gesamte Reichtum des Landes in seinen verschiedenen Formen und unbeschadet seiner Trägerschaft ist dem allgemeinen Interesse untergeordnet.“
(Verfassung Spaniens, Art. 128)

„Die wirtschaftliche Aktivität und die Privatinitiative sind frei, innerhalb der Grenzen des Gemeinwohls.“
(Verfassung Kolumbiens, Art. 333)

“Offenkundig besitzt jede Sprache rund um den Globus ein Wort für Gemeinwohl. Zudem nenne jemand eine Gesellschaftstheorie, die ohne Gemeinwohlbezug auskommt. Es gibt sie schlicht nicht!” Timo Meynhardt: “Ohne Gemeinwohl keine Freiheit. Zur Psychologie des Gemeinwohls” in PAPIER/MEYNHARDT (Hrsg.): “Freiheit und Gemeinwohl. Ewige Gegensätze oder zwei Seiten einer Medaille?”, S. 174.

 

Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung im Jahre 2010 wünschen sich 88% aller Deutschen und 90% aller Österreicher*Innen eine neue und ethischere Wirtschaftsordnung, die den Schutz der Umwelt und den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft stärker berücksichtigt.

Studie Umweltbewusstsein Deutschland 2014: Eine große Mehrheit (67 Prozent) sieht eine neue Ausrichtung des Wirtschaftssystems – weg vom BIP-Wachstum, hin zur Lebenszufriedenheit – als wichtigstes Ziel der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Hohe Zustimmungswerte gab es unter den jungen Menschen. Hier wünschen sich sogar 70 Prozent anstelle des Bruttosozialprodukts, die Messung des Bruttosozialglücks als neuen Indikator. Die Studienautoren empfehlen neue Wohlstandsindikatoren als zeitgemäße Weiterentwicklung, der sich die Politik annehmen soll.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) hat die Stellungnahme “Gemeinwohl-Ökonomie – ein nachhaltiges Wirtschaftsmodell für den sozialen Zusammenhalt” am 15. September 2015 mit 86% Ja-Stimmen angenommen.

 

Der Internationale Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie e.V. in Hamburg , hat bis heute mehr als 100.000 Privatpersonen und über 2500 Unternehmen als Unterstützer gefunden.

Die Gemeinwohl-Ökonomie orientiert sich am eigentlichen Zweck des Wirtschaftens – der Erfüllung unserer menschlichen Bedürfnisse. Dabei geht es vor allem um gelingende Beziehungen: Sie sind die Voraussetzung, um glücklich zu sein – sie sind Voraussetzung für das Gemeinwohl.

Das Geld ist hingegen nur ein Mittel des Wirtschaftens: Die Wirtschaftsleistung, in Geld gemessen, sagt nichts darüber aus, ob das Gemeinwohl steigt oder sinkt. Um zu messen, ob der Zweck erfüllt wird, sind andere Messgrößen gefragt.

Dennoch bedeutet das für zahlreiche Menschen, dass sie erst einmal über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen müssen, um überhaupt an die Erfüllung ihrer Bedürfnisse zu denken. In unseren modernen zivilisierten Gesellschaften wird selbst das Wohnen in manchen Gegenden schon zum Luxus.

—->>> bedingungsloses Grundeinkommen

 

Tendenziell finden wir doch heute weltweit ähnliche Situationen vor:
Unternehmen streben nach Gewinnmaximierung und verdrängen sich so lange gegenseitig vom Markt, bis nur mehr wenige große Konzerne übrig sind. Diese haben dann alle Macht gegenüber KonsumentInnen und Staaten und diktieren das globale Geschehen. Umwelt- und Sozialstandards kommen dabei unter die Räder des Profitstrebens. Selbstverständlich geschieht dies langsam und subtil und gibt den Menschen das Gefühl den Weg selbst zu bestimmen

Auf der anderen Seite streben die Menschen nach Individualisierung, Selbstverwirklichung und persönlichem Glück.

Ist aber nicht genau das individuelle Wohlergehen des Einzelnen in der Gemeinschaft das Ziel und die Motivation der Gemeinwohl Idee?

Müssen wir einfach nur das Ziel des Gemeinwohl zum obersten Prinzip erklären und erhalten dann eine Gesellschaft mit zufriedenen Menschen?

Was kann die Politik hier dazu beitragen?
Der 2015 für Deutschland veröffentlichte Index Unternhmen (https://www.gemeinwohlatlas.de/) führt an vorderster Stelle die Feuerwehr, THW, Weisser Ring und DRK auf.

Nachdenklich macht es dann aber doch, dass zwar mit Bundespolizei und Bundesverfassungsgericht zwei Bundesbehörden vor VW (22) Audi (25) und EDEKA (32) stehen, die Bundesregierung selber allerdings nur auf Platz 42, hinter Borussia Dortmund und den Sparkassen.

Weit hinten auf Platz 85, noch hinter Apple, Bayern München, MAN, Walt Disney, Porsche, etc. landet die Bundesagentur für Arbeit.

Was heißt hier eigentlich nachdenklich, das ist erschreckend.

Quellen:
https://www.ecogood.org, Wikipedia, https://www.gemeinwohlatlas.de/
Foto: F. Borowski

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